Kalikokrebs – Invasion der Scherentiere

Kalikokrebs wird hochgehalten

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Invasive Art: Der Kalikokrebs (Orconectes immunis) macht Ärger

Eigentlich könnte die Weiher bei Rheinstetten nahe Karlsruhe ein wahres Naturparadies sein. Noch vor wenigen Jahren fühlten sich Laubfrosch, Kreuzkröte und Königslibelle in dem extra angelegten Feuchtbiotop pudelwohl. Doch 2016 verschwand quasi über Nacht ein Großteil der einheimischen Wasserlebewesen. Ein neues Raubtier war eingetroffen. Ein mit Scheren bewaffneter Killer, mit gewaltigem Appetit und einer enormen Fortpflanzungsfähigkeit: der Kalikokrebs.

Die invasive Krebsart ist ein enormes Problem für den Artenschutz. Wo die Scherenträger auftauchen, vermehren sie sich massenhaft und verwandeln einen lebendigen Teich mit einer Vielzahl an Bewohnern in eine trübe leblose Brühe. Was den Kalikokrebs so gefährlich macht und ob es eine Möglichkeit gibt, die Invasion der Scherentiere noch zu stoppen, erfährst du in diesem Wissensartikel.

Warum ist der Kalikokrebs so gefährlich?

Der Kalikokrebs kommt ursprünglich aus Nordamerika und ist in Deutschland eingewandert. Er ist somit ein Neozoen, also eine Tierart, die jenseits ihres Ursprungsvorkommens eine neue Population aufbauen konnte. In seiner ursprünglichen Heimat bewohnt dieser Flusskrebs vor allem verwucherte Gräben, Tümpel mit schlammigem Untergrund und langsam fließende Bäche. Dem Kalikokrebs macht es nichts aus, wenn diese Gewässer zeitweise Austrocknen. Diese Krebsart baut nämlich Gänge in den schlammigen Untergrund, worin sie sowohl Trockenperioden als auch ein Durchfrieren der Gewässer überleben kann. Auch sonst ist das Scherentier wenig anspruchsvoll. Weder eine geringe Sauerstoffkonzentration noch mangelhafte Wasserqualität machen ihm etwas aus.

Der Kalikokrebs ist also ein echter Anpassungskünstler. Bei uns besetzt er eine ökologische Nische, in der es zuvor keine einheimischen Flusskrebse gab. Hier leben eigentlich Amphibien und Wasserinsekten wie Libellen. Viele einheimische Bewohner dieser Lebensräume sind bereits stark bedroht. Wenn die invasiven Krebse einmal angekommen sind, vermehren sie sich in Windeseile. Ein einziges Krebsweibchen trägt gut und gerne 350 Eier, teilweise sogar 500, mit sich herum. Die Tiere vermehren sich massenhaft und fressen den Tümpel ratzekahl leer. Eier, Larven und Wasserpflanzen – alles fällt den Scherenträgern zum Opfer. In einem einzigen, 40 Meter langen Tümpel wurden 60000 Kalikokrebse nachgewiesen. Mit zunehmender Krebsanzahl verfärbt sich das Wasser trüb und die ursprünglichen aquatischen Lebewesen verschwinden. In Rheinstetten ging die Artenzahl der Makrozoobenthos, der wirbellosen Organismen, die an der Gewässersole leben, um 61,11 Prozent zurück.

Kalikokrebs schaut aus seiner Höhle

Wandernde Flusskrebse

Jetzt könnte man natürlich denken, dass der Kalikokrebs nur in vernetzten Feuchtgebieten zum Problem wird. Aber was die nordamerikanischen Krebse so gefährlich macht, ist vor allem ihre Fähigkeit, beachtliche Strecken an Land zurückzulegen. Die Krebse wandern nicht gezielt, sondern brechen einfach in Massen aus ihren Ursprungsgewässern auf ins Ungewisse. Natürlich stirbt der Großteil auf der Wanderschaft, aber ein einziges überlebendes Weibchen mit Eiern reicht, um in Windeseile einen neuen Tümpel zur Kaliko-Hochburg zu machen. Oft machen die Krebse auf ihren Wanderungen Zwischenstationen in unseren Gartenteichen oder in einem feuchten Graben. So erreichen die Krustentiere auch weit entfernte Gewässer.

Überträger der Krebspest

Ihre schiere Menge und ihr Appetit sind aber nicht die einzigen Probleme, die die Kalikokrebse verursachen. Sie sind auch Überträger der Krebspest. Bei dieser Erkrankung handelt es sich um einen Pilz, der sich an das Exoskelett der Tiere anheftet. Kalikokrebse sind gegen den Erreger weitestgehend immun. Unsere einheimischen Stein- und Edelkrebse kommen mit der Krebspest allerdings nicht gut zurecht. Sie sind mittlerweile in einige wenige noch kalikofreie Bäche in den Hochlagen verbannt. Auch Wasserinsekten sind teilweise für die Pilzerkrankung anfällig. Wie der Kalikokrebs kommt auch die Krebspest aus Amerika und wurde gemeinsam mit invasiven Krebsen bei uns eingeschleppt.

Gefangene Kalikokrebse

Wie kam der Kalikokrebs nach Deutschland?

Aber woher kommt der Kalikorebs? Im Gegensatz zu anderen invasiven Arten, kamen die amerikanischen Krebstiere sehr wahrscheinlich nicht als blinde Passagiere nach Deutschland. Auch anfängliche Vermutungen, die Krebse könnten aus dem Aquarienhandel stammen, konnten sich nicht erhärten. Im Kreis Karlsruhe waren die Tiere in den vorangegangenen Jahren nicht im Aquarienhandel zu finden.

Dies stützt eine andere These. Erste Kaliko-Funde gab es in der Nähe des Karlsruhe-Baden-Airports. Das Geländer wurde seit 1953 von der kanadischen Airforce genutzt. Hier lebten viele Soldaten mit ihren Familien. Denen war es auch erlaubt, Haustiere mitzubringen. Nach der Wiedervereinigung kam es 1993 zum Abzug der dort stationierten Truppen. Möglicherweise wurden die invasiven Tiere aus Kanada fürs Aquarium mitgebracht und irgendwann ausgesetzt. In Nordamerika ist die Art außerdem als Fischköder im Einsatz. Eventuell wurden sie auf dem Stützpunkt als Fischköder gezüchtet und gelangten auf diesem Weg in die Freiheit. Die ersten verifizierten Kalikokrebs-Sichtungen stammen von 1993. Mittlerweile sind die Tiere bis nach Düsseldorf vorgedrungen.

Kann man die Kalikokrebs-Invasion noch stoppen?

Hat der Kalikokrebs ein neues Gebiet erobert, ist es extrem schwer, in wieder loszuwerden. Zusätzlich wandern die Krebse über den Landweg aus nahegelegenen Populationen immer wieder neu ein. Es nützt also nichts, einen Weiher einmal leer zu fischen und ihn dann sich selbst zu überlassen. Es bedarf einer ständigen Überwachung.

Das Beispiel Rheinstetten zeigt jedoch, dass es durchaus möglich ist, ein Gewässer von den Scherentieren wieder zu befreien. Dafür müssen die Krebse über Monate kontinuierlich abgefischt werden. Das klappt beispielsweise über Reusen oder über künstliche Bruthöhlen. Diese suchen die Krebse heraus und können dann abgefischt werden. In Rheinstetten konnten so mehrere Tümpel komplett kalikofrei gefischt werden.

Weitere Maßnahmen können das Herausfangen der Krebse unterstützen. Zum einen können die Ufer verkiest werden. Im Kiesbett können die Kalikokrebse keine Höhlen anlegen und sind somit deutlich anfälliger. Als zweite Maßnahme sollte ein Ring von Baumstämmen um noch nicht befallene Gewässer errichtet werden, wenn die invasiven Krebse in der Umgebung vorkommen. Die Krebse sind nämlich keine geschickten Kletterer. Um eine Zuwanderung aus anderen Gewässern zu verhindern, reicht ein Ring von Baumstämmen deshalb weitgehend aus. Für Amphibien stellt eine solche Barriere kein größeres Hindernis dar. Die Baumstamm-Barriere muss jedoch regelmäßig auf undichte Stellen überprüft werden. In Rheinstetten konnte so das ökologische Gleichgewicht in mehreren kleinen Gewässern wieder hergestellt werden. Dort vermehren sich heute wieder Amphibien, wie der gefährdete Laubfrosch.

In Schweden erforschen Wissenschaftler zudem bei einer weiteren invasiven Krebsart, dem Signalkrebs, den Einsatz von Bioziden. Ein Gewässer wird dafür in der Regel mehrfach mit den Biozid behandelt, bis das Krebsvorkommen erloschen ist. Die Auswirkung auf die Natur ist jedoch sehr groß, denn es sterben auch die allermeisten Fische, Amphibien und Insektenlarven. Diese besiedeln das Gewässer jedoch nach einigen Jahren neu und profitieren von einem krebsfreien Lebensraum. Für die Biozidmethode müssen in der unmittelbaren Umgebung jedoch noch intakte Habitate sein, aus denen die vertrieben einheimische Tiere neu zuwandern können. Außerdem wäre die Verwendung von Bioziden gerade in sensiblen Ökosystemen eine absolute Notlösung für den Naturschutz.

Gewässer mit verkiestem Ufer gegen Kalikokrebse

Hat der Kalikokrebs keine natürlichen Feinde?

Bei all diesen drastischen und aufwendigen Maßnahmen stellt sich natürlich die Frage, ob der Kalikokrebs keine natürlichen Fressfeinde hat. Diese könnten sich mit dem invasiven Krebs doch die Bäuche vollschlagen und die Plage so auf natürlichem Wege eindämmen? Tatsächlich sind Reiher, Storch, Eisvogel, Nutria und Fischotter einer Krebsmahlzeit keineswegs abgeneigt. Der Massenvermehrung der Krebse werden jedoch leider auch die gefräßigsten Fressfeinde nicht Herr. Selbst hungrige Raubtiere sind deshalb nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, was die Lösung des Kaliko-Problems angeht.

Sind Kalikokrebse essbar?

Der Kalikokrebs ist ein durchaus schmackhaftes Krustentier, das Schälen ist jedoch sehr aufwändig. Nur der Schwanz des Krebstiers kann verzehrt werden. Eine Verwendung für den Kochtopf ist sinnvoll, da einmal gefangene Kalikokrebse als invasive Art nicht mehr zurück in die Freiheit entlassen werden dürfen. Dennoch ist auch der Verzehr der Tiere keine Lösung für das Kalikokrebsproblem.

Welche Folgen hat der Kalikokrebs für den Naturschutz?

Die Ankunft der Kalikokrebse in Deutschland stellt den Naturschutz vor große Herausforderungen. Wo früher die Biotopvernetzung oberstes Ziel der Naturschützer war, freuen sie sich jetzt über isolierte Gewässer, in die die Krebse nicht so leicht einwandern können. Gleichzeitig ist die Krebs-Problematik außerhalb seines bisherigen Ausbreitungsgebietes noch immer nicht durchgedrungen. Dabei heißt es, rechtzeitig präventive Maßnahmen zu ergreifen, um eine Einwanderung zu verhindern. Denn wenn der Krebs erst einmal in ein Gewässer gelangt ist, ist seine Bekämpfung, wenn überhaupt, nur mit enormen Kraftanstrengungen und finanziellen Mitteln möglich.

Qellen:

Alexander Herrmann, Andreas Stephan, Michaela Keller, Andreas Martens: Zusammenbruch der Makrozoobenthos-Diversität eines Kleingewässers nach der Invasion durch den Kalikokrebs Orconectes immunis: eine Fallstudie, 2018.

Christian Gelmar, Frank Pätzold, Karsten Grabow, Andreas Mertens: Der Kalikokrebs Orconectes immunis am nördlichen Oberrhein: ein neuer amerikanischer Flusskrebs breitet sich schnell in Mitteleuropa aus (Crustacea: Cambaridae), 2006.

 

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Autor: Florian Fetzer

Autor: Florian Fetzer

Seit meiner Kindheit bin ich begeisterter Naturliebhaber. Angetan haben es mir insbesondere die Schmetterlinge, aber auch sonst fasziniert mich die Vielfalt des Lebens in Feld, Wald und Wiese. Aktuell arbeite ich hauptberuflich im Online-Marketing und als Texter. Naturstudium.de ist mein Hobbyprojekt. :)

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